Ettersburg, Schlosskirche – Gebr. Peternell Orgel

RestaurierungEttersburg, Schlosskirche – Gebr. Peternell Orgel

Erbaut 1865, Gebrüder Peternell // Restauriert 2010/2011, Hermann Eule Orgelbau

  • Ettersburg bei Weimar
  • 2010 - 2011
  • Restaurierung

Geschichte

Die Orgel der Ev. Schlosskirche Ettersburg wurde von den Gebrüdern Peternell aus Seligenthal erbaut und im August 1865 von dem bedeutenden Orgelsachverständigen und Stadtkirchenkantor Johann Gottlob Töpfer aus Weimar abgenommen. Sie ersetzte eine nicht näher bekannte barocke Vorgängerorgel, die 1809 repariert wurde. Die Orgelbauwerkstatt Peternell wurde 1847 von den Gebrüdern Carl (1815-77) und August Peternell (1836-1909) gegründet und bestand bis 1909. Sie gehörte zu den bedeutendsten thüringischen Orgelbaufirmen. Insgesamt gingen aus der Werkstatt mindestens 50 neue Orgeln hervor, die größte 1855 in der Stadtkirche Jena mit 45 Registern. Peternell-Orgeln zeichnen sich durch einen besonders feinen, farbigen und charaktervollen Klang aus. „In der Kunst des Intonirens erreicht überhaupt Herrn Peternell kein anderer Orgelbauer in unserer Gegend.“ schrieb Töpfer.

Ungewöhnlich prächtig und großartig ist das neugotische Gehäuse gestaltet, es kündet von seinem potenten großherzoglichen Auftraggeber. Bemerkenswert sind die stummen Prospektpfeifen aus Zink (original!), die frühe Verwendung von Zink für Innenpfeifen und der ebenfalls recht frühe Einsatz von Federstoßbälgen für die Manualwerke.

Das Klangwerk ist mit 13 Registern (Klangfarben) relativ klein. Doch haben Gebr. Peternell es so disponiert, dass es vom zarten piano bis zum machtvoll brausenden vollen Werk eine große Dynamik und Farbigkeit entwickeln kann. Das wird unterstützt durch die Posaune 16′ (durchschlagend), die sonst erst in viel größeren Orgeln vorkommt. Die Peternell-Orgel ist daher ideal für die Interpretation romantischer Orgelmusik des 19. Jahrhunderts, selbst große Werke lassen sich gut darstellen.

Eindringendes Regenwasser und herabrieselnder Putz führten schon 1869 zur ersten Reparatur; wahrscheinlich 1878 wurde das große hölzerne Schutzdach mit einer richtigen Zink-Regenrinne über der Orgel eingebaut (ein Unikat).

 

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Gebr. Peternell-Orgel, Ettersburg, Schlosskirche

Disposition (1865-1939 und seit 2011)

 

I. Hauptwerk C-f′′′

Quintatön 16′
Principal 8′
Hohlflöte 8′
Viola di Gamba * 8′
Octave 4′
Mixtur 4fach 2′

 

II. Ober-Hinterwerk C-f′′′

Salicional 8′
Lieblich Gedackt 8′
Harmonika ** 8′
Flauto dolce 4′

 

Pedal C-d′

Subbaß 16′
Principalbaß 8′
Bombarde *** 16′

*   teilweise rekonstruiert

** vollständig rekonstruiert

*** durchschlagend, Zinkbecher in halber Länge, rekonstruiert nach Wremen

 

Koppeln und Nebenregister:

  • Manualkoppel II-I
  • Pedalkoppel I-P
  • Calcantenwecker

 

Technische Daten:

  • Winddruck: ca. 64 mmWS
  • Stimmton: ca. 438 Hz bei 15° C
  • gleichschwebend

 

  • Prospektpfeifen original aus Naturzink mit Zinnlabien (alle stumm)
  • Mechanische Schleifladen, Trakturen strahlenförmig, Ladenaufstellung chromatisch
  • 1 Doppelfaltiger Magazinbalg mit 2 Schöpfbälgen (original, ursprünglich Fußbetrieb, seit 1890 handbetrieben, 2011 neuer Ventilator)
  • 2 einfaltige quadratische Holzfeder-Stoßbälge für die Manuale I und II (original)

 

Restaurierungskonzeption (Fortführung der Projektbeschreibung)

 

1890 reparierte Hermann Kopp aus Bürgel die Orgel und passte sie den aktuellen musikalischen Trends an. Die Schöpfbälge mit Tretbetätigung wurden ersetzt durch solche mit Handbetrieb, die beiden Streicherregister und wahrscheinlich auch die Quintadena klanglich verändert (incl. neuer Metallhüte statt Holzstöpsel), in der Mechanik wurden korrodierte Zinkteile gegen Messingteile ausgetauscht u.a..

1932 erfolgte eine kleine Reparatur. Zu unbekanntem Zeitpunkt wurde die Posaune 16′ ausgebaut – 1938 war sie nicht mehr vorhanden.

Ein schwerwiegender Eingriff war der Klangumbau, den Orgelbaumeister Kirchner aus Weimar 1939 ausführte. Er wollte den Orgelklang dem neuen, modern gewordenen barocken Klangideal anpassen. Er stellte Pfeifen um und schnitt viele ab (sie klingen dann höher), vertauschte ganze Register und ersetzte andere teilweise oder völlig:

– die Flöte dolce 4′ aus dem II. Manual wurde in das I. Manual umgesetzt,

– in das II. Manual wurde die Octave 4′ aus dem I. Manual umgesetzt und in Principal 4′ benannt, die Intonation wurde „verbessert“,

– in das I. Manual kam eine Octave 2′ aus Gebrauchtpfeifen anstelle der Viola di Gamba 8′,

– das II. Manual erhielt eine neue Waldflöte 2′ anstelle „der gänzlich wertlosen Harmonika 8′ „,

– die Mixtur wurde umgestellt und verlor 55 Pfeifen,

– das Pedal erhielt einen Choralbass 4′, dessen 11 höchste Pfeifen aus den abgeschnittenen Pfeifen der Gamba 8′ gefertigt wurden.

Das Ergebnis war unbefriedigend: mit dem äußerst sparsam ausgeführten Umbau war ein „barocker“ Orgelklang nicht erreichbar, dafür war der romantische Klangcharakter zerstört: 2 Register waren vollständig, 2 weitere teilweise verloren, andere klanglich entstellt.

Reparaturen fanden 1980/87 sowie 1993 statt. Dabei erhielt die Orgel eine neue Pedalklaviatur und einen Elektroventilator, dessen Windkanal fortan die Balgplatte blockierte und zu Problemen mit der Windversorgung führte.

2008 begannen die Vorbereitungen für eine grundlegende Restaurierung. Ziel war, die Orgel technisch und vor allem klanglich in den Zustand zurückzuversetzen, den Peternell ihr gegeben hatte. Nur einige Änderungen der Technik von 1890 wurden dabei als bereits historischer Bestand beibehalten, ebenso die stilistisch passende Pedalklaviatur von 1993.

Wir sind sehr dankbar Herrn Prof. Edgar Krapp aus München, der die Gemeinde sachkundig und mit großer Überzeugung bei dieser umfassenden Restaurierung beraten hat und sich zugleich maßgeblich um die Sicherung der Finanzierung gekümmert hat. Nur dadurch wurde es möglich, das Restaurierungskonzept der Orgelbauwerkstatt Hermann Eule mit einer umfassenden Restaurierung einschließlich Wiederherstellung des Originalzustandes zu beauftragen und nicht auf halbem Wege stehen bleiben zu müssen.

Im Herbst 2010 begannen die Arbeiten durch die Bautzener Eule-Orgelbauer (besonders Jan Werner aus Naumburg) vor Ort mit dem Abbau der Orgel. Über den Winter wurden die Werkstattarbeiten durchgeführt. Archivstudien im Pfarrarchiv und Weimarer Staatsarchiv verrieten nach langer Suche die Bauform der Posaune. An Vergleichsorgeln (Wremen 1864, Großaga 1863) vermaßen wir originale Peternell-Pfeifen und bauten sie detailgetreu nach. Im Frühjahr 2011 begann der Wiedereinbau vor Ort.

Im Einzelnen wurden ausgeführt:

– grundlegende Reinigung und Instandsetzung aller Orgelteile,

– Dekontamination der (wohl 1939) mit Hylotox behandelten Holzteile,

– Reinigung des Gehäuses und der Prospektpfeifen, Entfernung fremder Stützen, Reinigung des Orgeldaches,

– Neubelederung der Bälge, neuer Ventilator (die restaurierten Schöpfbälge ermöglichen wieder historisch getreuen Handbetrieb),

– Restaurierung der Windladen,

– Restaurierung und Regulierung der Mechanik,

– Restaurierung des Spieltischs, Rekonstruktion fehlender Registerschilder,

– Restaurierung aller historischen Pfeifen (sehr aufwändig, da sich in einem Drittel der Metallpfeifen die Kerne lösten, in den Holzpfeifen durch späteren Farbanstrich alle Spunde verklebt waren), Rückführung aller klanglichen Veränderungen,

– Rekonstruktion aller fehlenden Pfeifen nach Originalvorlagen,

– Intonation gemäß dem ursprünglichen Peternell’schen Klangideal (u.a. Zurücksetzung der (1890?) erhöhten Aufschnitte des Quintatön 16′).

Die Stimmtonhöhe wurde gemäß den wenigen in originaler Länge erhaltenen Pfeifen aufwändig wiederhergestellt (durch Stimmringe bei den größeren und Anlötungen bei den kleineren Metallpfeifen), der Winddruck in Analogie zu erhaltenen Peternell-Orgeln (Wremen, Denstedt 1859) und der optimalen Ansprache der restaurierten Pfeifen folgend festgelegt.

 

Technische Details: 

Schleifladen mit mechanischer Traktur. Trakturen strahlenförmig angelegt, ohne Wellenbretter. Das Hauptwerk steht hinter dem Prospekt. Dahinter stehen unten über dem Fußboden das Pedal und darüber in erhöhter Lage das Oberwerk. Pfeifenaufstellung chromatisch (Basspfeifen jeweils links). Die 53 Prospektpfeifen sind stumm. Typisch thüringisch ist der hohe Holzpfeifenanteil: Vollständig aus Holz sind Hohlflöte 8′ (ab c° offen), Harmonika 8′ (offen, eng), Flauto dolce 4′ (offen), Liebl. Gedeckt 8′, Subbass 16′ und Principalbass. Außerdem haben Holzpfeifen die Basstöne der Register Quintatön (18), Principal (9), Viola di Gamba (8) und Salicional (7, gedeckt). Quintatön ist von C-H als gedeckte Quinte 5 1/3′ gebaut. Pfeifenkörper aus Zink mit Zinnlabien gibt es bei Principal 8′ (A-fs°), Viola di Gamba 8′ (Gs-f°), Octave 4′ (C-Fs) und Salicional 8′ (G-f°). Die 7 tiefsten Töne der Harmonika 8′ sind mit denen des Lieblich Gedackt 8′ kombiniert. Posaune 16′ ist durchschlagend, mit Holzstiefeln und weiten Zinkbechern in halber Länge. Durch die Stimmschraube wird der Zungenrahmen samt Zunge verschoben (Kopie nach Wremen, 1863). Die Gebläseanlage ist in einem Anbau rechts neben der Orgel (doppelfaltiger Magazinbalg mit 2 keilförmigen Schöpfbälgen und Handhebel). Bemerkenswert sind 2 originale Stoßbälge für jedes Manual mit 1 Parallelfalte und langer Holzfeder. Insgesamt hat die Orgel 776 klingende und 53 stumme Pfeifen.

 

Alle Bildrechte gehören Günter Widiger und

dem Hermann Eule Orgelbau.