Borgentreich, St. Johannes Baptist – Barockorgel

RestaurierungBorgentreich, St. Johannes Baptist – Barockorgel

Erbaut vermutlich 17. Jh., Gottfried Bader // Restauriert 2003 - 2011, Hermann Eule Orgelbau

  • Borgentreich
  • 2003 - 2011
  • Restaurierung

Die Besonderheiten der Orgel on Borgentreich

 

Die Orgel stand ursprünglich in der Kirche des Klosters Dalheim. 1803 wurde sie wegen der Säkularisierung des Klosters nach Borgentreich versetzt, in den Vorgängerbau der jetzigen Kirche. In Dalheim hatte die Orgel schon eine lange Geschichte, die sich aus gemeinsamen Forschungen von Jörg Kraemer und unserer Firma anhand der Spuren am Instrument und der spärlichen archivalischen Quellenlage so darstellt:

Vermutlich im 16. Jahrhundert erhält Kloster Dalheim seine erste Orgel. Es handelt sich dabei um ein einmanualiges Werk mit angehängtem Pedal und kurzer Oktave, wie es in der Renaissance üblich war.

Im 17. Jahrhundert erhält das Hauptwerk seine heutige Form. Der Tonumfang wird auf die heute noch gültigen Abmessungen „ad longum“ (C, D-c′′′) erweitert. Bereits für diese Arbeiten ist ein Orgelbauer aus der Schule der Bader wahrscheinlich.

1677 erweitert Johann Gottfried Bader diese Orgel um ein Brustwerk und passt die Windversorgung des vergrößerten Werkes durch den Bau neuer Bälge an.

Im Zeitraum 1705 – 1710 wächst die Orgel zur Barockorgel. Johann Jacob John und/oder seine Gesellen, die Gebrüder Reineke, fügen der Orgel ein großes Rückpositiv und ein freies Pedal hinzu. Die barocke Fassade mit den beiden links und rechts flankierenden Pedaltürmen wird auf der vorhandenen Struktur des Renaissance-Gehäuses vorgeblendet.

Um 1750 wird der westfälische Orgelbaumeister Johann Patroklus Möller an der Orgel tätig. Er baut ein neues Register aus dem Hauptwerk (Hohlflöte) und erweitert das vorhandene Brustwerk mit dem frei gewordenen Register aus dem Hauptwerk und vielleicht noch mit einer oder zwei Zungenstimmen. Die Windlade des Brustwerks wird hierfür als Schleiflade neu gebaut.

Danach baut ein bislang nicht zweifelsfrei identifizierter Orgelbauer eine neue Zimbel für das Hauptwerk und ändert dessen Disposition durch eine neue Zusammenstellung der gemischten Stimmen geringfügig. Das Pedal erhält statt Quinte 6′ und Trompete 4′ eine Trompete 8′ und ein Cornet 2′.

Der Orgelbauer Stefan Heeren wird im September 1785 für seine Arbeiten an der Großen Orgel entlohnt; das Instrument war „völlig auszubessern“. Mit fünf Gesellen hatte er daran gearbeitet, mit einigen 42 Tage, mit anderen nur 30 Tage, er erhielt 230 RT Lohn.

Auszug aus der Festschrift zur Orgelweihe Borgentreich – Ein Instrument wahrhaft europäischen Ranges, Seite 46

Die weitere Geschichte der Barockorgel in Borgentreich

1831 Abbau der Orgel und Einlagerung im Turmraum der Kirche. Neubau des Kirchenschiffs.
1836/37 Wiederaufstellung der Orgel im neuen Kirchenschiff auf einer neu errichteten Empore; dabei Verbreiterung des Orgelgehäuses auf Dalheimer Maße. Verlegung des Rückpositivs als Hinterwerk hinter das Hauptgehäuse der Orgel.
1872 Dispositionsänderung durch Randebrock, Paderborn.
1924 Trakturumhängung und Einbau einer Barkermaschine durch Döhre, Warburg.
1953 Erste Restaurierung durch Ott, Göttingen unter maßgeblicher Verantwortung von Rudolf Reuter, Münster. Dabei Dispositionsänderungen, hypothetische Zuordnung der Vogel zu Patroclus Möller, Gehäuseumgestaltung in Richtung Möller (Marienmünster) … .
2003-2011 Zweite Restaurierung durch Hermann Eule Orgelbau Bautzen.

 

Disposition

 

I. Manual – Rückpositiv (Springladen) C, D-c′′′

1. Principal 8′ Eule/John*
2. Rohrflöte 8′ John
3. Gedact 4′ Eule/John
4. Dousflöte 4′ John
5. Quinta 3′ John/Eule
6. Naßartquinta 3′ John
7. Octav 2′ John
8. Waldflöte 2′ John
9. Tertzian 2′ John/Eule
10. Quinta 1 1/2′ John
11. Mixtur 4fach John/Eule
12. Cimbel 3fach John
13. Fagott 16′ Eule
14. Krummhorn 8′ Eule

 

II. Manual – Hauptwerk (Springladen) C, D-c′′′

1. Bourdun 16′ Bader I*
2. Principal 8′ Bader I/John
3. Viola di Gamba 8′ Eule/John
4. Holflöte 8′ Möller
5. Quinta 6′ Bader I
6. Octav 4′ Bader I
7. Spans Cornet B 4’/D 3-fach Eule/Bader I
8. Sexquialter 3-fach Bader I/Schu****
9. Mixtur 4-fach Bader I/Schu/Eule
10. Cimbel 4-fach Schu
11. Trompet 8′ Eule
12. Voxumana 8′ Eule

 

III. Manual – Brustwerk (Schleiflade) C, D-c′′′

1. Gedact 8′ Bader II**/Möller
2. Quintatöna 8′ Bader I
3. Principal 4′ Bader II
4. Flautetraverse 4′ Bader II
5. Nachthorn 4′ Bader II
6. Octav 2′ Bader II
7. Quinta 1 1/2′ Bader II
8. Detzima 2-fach Bader II
9. Mixtur 4-fach Bader II
10. Ranquet 8′ Eule
11. Hoboe 4′ Eule

 

Pedal (Springladen) C, D-c′

1. Principal 16′ John
2. Subbass 16′ John
3. Octav 8′ John
4. Waldflöte 2′ John/Eule
5. Mixtur 6fach John
6. Posaune 16′ John
7. Trompet 8′ John/Schu
8. Cornet 2′ John/Schu/Eule

 

Tonhöhe: a′ = 465,4 Hz (ungefähr ein Halbton über Normal)

Temperatur modifiziert mitteltönig, 1/6 pyth. Komma

 

* Bader I: bezeichnet Pfeifen, die der frühesten Baustufe in Dalheim in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts zugeschrieben werden

** Bader II: bezeichnet die Gottfried Bader um 1677 zugeschriebenen Register

*** John: Johann Jacob John, um 1705

**** Schu: Schulmeister, meint den bislang nicht zweifelsfrei identifizierten Orgelbauer, der noch nach Möller die Orgel in der Disposition geringfügig modifizierte.

 

Restaurierung 2003 - 2011

 

„Es soll soviel alte Substanz wie irgend möglich erhalten und in Funktion bleiben. Alle geplanten Arbeiten müssen sich anhand von Spuren an den alten Teilen herleiten und beweisen lassen. Auf diese Weise wird vermieden, noch eine Version der Borgentreicher Orgel herzustellen.“ Auszug aus der Restaurierungskonzeption der Firma Eule vom Juli 2003

Dieses selbstgestellte Arbeitsziel galt es, in unzähligen Einzelentscheidungen im Laufe der Forschungs- und Restaurierungsarbeiten, die letztlich von 2003 bis 2011 andauerten, nicht aus den Augen zu verlieren. Restaurierung bedeutet im denkmalpflegerischen Sinne immer die Wiederherstellung eines beweisbaren früheren Zustandes. Deshalb war die Erforschung dieses früheren Zustandes der Orgel ein Hauptgewicht der Gesamtarbeit. Da die archivalische Quellenlage sehr lückenhaft war, galt es, die Orgelgeschichte aus den erhaltenen Bestandteilen der Orgel selbst zu entwickeln, also aus den Bau- und Umbauzuständen von Gehäuse, Windladen und Pfeifen. Sehr langsam begann sich dabei die Geschichte der Orgel zu erschließen.

Bei der Untersuchung der Einzelteile der Orgel musste die Gesamtheit der Geschichte der Orgel immer abrufbar sein, um Veränderungsspuren richtig deuten zu können.

Die Restaurierung umfasste folgende Komplexe:

  • Gehäuse
  • Windladen
  • Pfeifen

Nicht mehr vorhandene Teile der Orgel mussten anhand von Vorbildern rekonstruiert werden. Dies waren folgende Komplexe:

  • Spieltisch
  • Tonmechanik
  • Registermechanik
  • Windanlage
  • fehlende Pfeifen und Pfeifenreihen
  • Rückpositiv-Gehäuse

Der große Schatz der Borgentreicher Orgel sind die sechs „doppelten“ Springladen, die sich im Hauptwerk, Rückpositiv und Pedal erhalten haben. Dazu kommt die ebenfalls alte kleine Schleiflade des Brustwerks. Diese Windladen begründen zusammen mit dem alten Pfeifenwerk die Bedeutung dieser Orgel in Europa. In äußerst zeitaufwendiger Untersuchung wurden alle Umbauschritte an den Windladen zurückverfolgt, bis sich ein klares Bild von Ton- und Registerfolge auf den Pfeifenstöcken ergab, das den Zustand der Orgel in der zweiten Hälfte des 18. Jh. widerspiegelte. Mit größtmöglicher Schonung der alten Substanz wurden nunmehr die Windladen restauriert und sind damit für die Zukunft wieder funktionsfähig. In Verbindung mit einer klimatisierten neuen Kirchenheizung ist eine weitere lange Lebensdauer dieser wertvollen alten Zeugnisse früherer westfälischer Handwerkskunst zu erwarten. Ein weiterer Schatz der Borgentreicher Orgel ist das erhaltene alte Pfeifenwerk. Der älteste erhaltene Bestand reicht bis in das frühe 17. Jh. zurück.

Nahezu sämtliche der 3002 Pfeifen bestehen aus Blei, nur 11 Pfeifen des Registers Gedact 8′ des Brustwerks sind in Eiche gebaut. Die Pfeifen tragen die Handschrift der unterschiedlichen Erbauer und Zeitepochen. In aufwendiger monatelanger Untersuchung und Vermessung der Pfeifen wurde eine Kategorisierung und Zuordnung zu den unterschiedlichen Erbauern gefunden. Im Laufe ihres langen Lebens und besonders durch die Versetzung 1953 waren sämtliche alten Pfeifen in ihrer Länge gekürzt worden. Bei der Restaurierung galt es, die fehlende Pfeifenlänge mit Material der gleichen Zusammensetzung zu ergänzen, als wichtige Voraussetzung zur Erzielung des alten Klanges. Gänzlich fehlende Pfeifen und Pfeifenreihen wurden in Analogie zu den Originalpfeifen bau- und materialgleich nachgefertigt. Für die Mensurfindung wurden Studienreisen nach Salzgitter-Ringelheim, Hemer, Stade, Marienmünster und den Niederlanden unternommen, besonders, um Vorbilder für die sechs fehlenden Zungenregister zu finden und zu vermessen. In der Summe der unzähligen Überlegungen und Einzelmaßnahmen ist letztlich ein faszinierendes Klangbild entstanden, das Kunde gibt von dem Kunstsinn und der musikalischen Klangwelt vorangegangener Generationen.

Helmut Werner, Restaurator

Alle Bildrechte gehören dem

Hermann Eule Orgelbau und Ansgar Hoffmann.